Der Gesetzgeber und die Gerichte als letzte Verfechter der Werteorientierung der Wirtschaft?

Steuerberater Peter Diederich

Einleitung

Der Artikel befasst sich ansatzweise mit aktuellen Urteilen zur Umsatzsteuer durch den Europäischen Gerichtshof, EuGH. Er stellt einige Urteile vor, kommentiert, bewertet und bezieht die Urteile auf das deutsche Steuerrecht. Insbesondere werden die neuen Sanktionsvorschriften, beispielsweise des § 25f UStG vorgestellt, mit deren Unwägbarkeiten und den daraus folgenden Konsequenzen. Zu guter Letzt wird als Ausblick auf das geplante E-Clearing-Verfahren hingewiesen, dass das Rechnungswesen massiv verändern, möglicherweise vereinfachen wird und andererseits zur höheren Sicherheit für den „good cop“ und damit zur Betrugsbekämpfung beitragen soll.

Deutschland 2009 und 2010, Finanzamt Wilmersdorf

Nun zu den Urteilen: Wir befinden uns in den Jahren 2009-2010. Ein Ehepaar betreibt einen Getränkehandel, die Ehefrau ist Unternehmerin, der Ehemann bei der Ehefrau angestellt. Die Ehefrau kauft über den Getränkehandel Energydrinks von einem Unternehmer im Wert von etwa 5,0 Mio €, erhält von ihrem Lieferant Rechnungen mit ausgewiesener Umsatzsteuer im Wert von 900 T€, die sie vom Finanzamt als Vorsteuer erstattet bekommt. Die Energydrinks werden zum üblichen Abgabepreis über den Handel verkauft. Die Ehefrau ist steuerlich ordentlich und meldet die Umsatzsteuer ordnungsgemäß an und zahlt die Umsatzsteuer unter Verrechnung der Vorsteuer ans Finanzamt.

Nach einigen Ermittlungen des Finanzamts stellt sich heraus, dass der Lieferant die Energydrinks vom Ehemann der Getränkehändlerin ohne Rechnung erworben hatte. Der Lieferant stellte über seine Einkäufe an den Ehemann Scheinrechnungen aus und ließ sich aus den „Schwarzeinkäufen“ die Vorsteuer erstatten. Mittlerweile war der Lieferant rechtskräftig verurteilt und das Finanzamt versagte nicht nur dem Lieferant den Vorsteuerabzug, sondern auch der Getränkehändlerin. Das Finanzamt stützt sich dabei auf die EU-Richtlinie Artikel Nr. 273 Abs.1, wonach die Mitgliedsstaaten den Unternehmern weitergehende Pflichten auferlegen können, um einen Vorsteuerabzug zu erhalten.

Die Richtlinie Art. 273 Abs. 1 MWStSysRL hat der deutsche Gesetzgeber mit Gesetz vom 12.12.2019 für Wirtschaftsjahre ab 2020 in das Umsatzsteuergesetz unter dem § 25 f UStG aufgenommen.

 

§ 25f UStG lautet:

Sofern der Unternehmer wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit der von ihm erbrachten Leistung oder seinem Leistungsbezug an einem Umsatz beteiligt, bei dem der Leistende oder ein anderer Beteiligter auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe in eine begangene Hinterziehung von Umsatzsteuer oder Erlangung eines nicht gerechtfertigten Vorsteuerabzugs im Sinne des § 370 der Abgabenordnung oder in eine Schädigung des Umsatzsteueraufkommens im Sinne der §§ 26a, 26c einbezogen war, ist Folgendes zu versagen:

1.die Steuerbefreiung nach § 4 Nummer 1 Buchstabe b in Verbindung mit § 6a,

2.der Vorsteuerabzug nach § 15 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1,

3.der Vorsteuerabzug nach § 15 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 sowie

4.der Vorsteuerabzug nach § 15 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4.

(2) § 25b Absatz 3 und 5 ist in den Fällen des Absatzes 1 nicht anzuwenden.

 

Ungarn 2012 – Rechtssache Viking

Der nächste Fall spielt in Ungarn, Budapest im Jahre 2012. Ein Großhändler für Bonbons und Süßwaren schließt einen Vertrag mit einem Kunden über die Lieferung von zunächst zehn, anschließend aber 6 Verpackungsmaschinen, die 2013 geliefert werden sollten. Der Großhändler kaufte die Maschinen, was vertraglich geregelt war, über zwei Vorlieferanten ein, ein so genanntes Reihengeschäft. Aus den Einkäufen machte der Süßwarenhändler Vorsteuern geltend.

Das ungarische Finanzamt jedoch versagte nach einer Prüfung den Vorsteuerabzug und setzte eine Steuergeldbuße gegen den Süßwarenhersteller fest. In Ungarn kann, wie auch in anderen Eu-Ländern, eine Geldbuße bis zu 200% des Steuerrückstandes erhoben werden, wenn der Steuerrückstand mit der Verheimlichung von Einkünften oder ähnlichen Tatbeständen zusammen hängt. Die Geldbuße kann hingegen aufgehoben werden, wenn der Steuerpflichtige nachweist, das er mit der erforderlichen Sorgfalt gehandelt hat, § 171 Abs. 1 und 2 der Besteuerungsordnung Ungarns.

Die Verkäufer der Maschinen an den Süßwarenhersteller waren in Wirklichkeit unbekannt. Die Maschinen waren in Wirklichkeit beim endgültigen Käufer in Betrieb genommen worden. Der Inhalt der Rechnungen war von den Geschäftsführern der Vorlieferanten zwar bestritten worden, die Vorlieferanten hatten aber die tatsächliche Lieferung der Maschinen bestätigt. Der Süßwarenhersteller hatte als Lieferant sogar Handelsregisterauszüge seines Vorlieferanten und eine Unterschriftsprobe angefordert und persönlich mit dem Geschäftsführer des Vorlieferanten gesprochen.

In diesem Sachverhalt war es so, dass die Herkunft der Maschinen unklar geblieben ist. Darüber hinaus ging aus der Vorlageentscheidung der Kuria, des obersten Gerichtshof in Ungarn hervor, das die Rechnungen in Wahrheit zu dem Zweck ausgestellt wurden, einen Nachweis für Maschinen mit unbekannter Herkunft zu erbringen und dem Subunternehmer zu ermöglichen, die Zahlung der Mehrwertsteuer durch den Vorsteuerabzug zu umgehen.

Jeder im Reihengeschäft zu prüfen?

Der ungarische Gerichtshof und die Steuerverwaltung verlangte an dieser Stelle, dass im Reihengeschäft jeder in der Reihe zu prüfen sei und darüber hinaus der wirtschaftliche Nutzen des Reihengeschäfts auch nachgewiesen werden müsse. Eine Vorschrift ähnlich unserem § 42 AO.

Der EugGH konzedierte allerdings, dass die Ungarn zu weit gegangen sind und eine Versagung des Vorsteuerabzugs nur von der EU-Richtlinie gedeckt sei, wenn objektiv nachgewiesen wurde, dass der Steuerpflichtige entweder an einem Betrug aktiv beteiligt war oder aber davon wußte oder hätte wissen müssen. Das hingegen sei vom vorlegenden ungarischen Gericht zu prüfen. Der Steuerpflichtige hatte sich übrigens zusätzlich auf Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union berufen.

Alltagsbezug relevant?

Während die verhandelten Sachverhalte offensichtlich sehr ungewöhnliche Geschäfte verhandeln, sind deren Konsequenzen für den normalen Geschäftsverkehr möglicherweise problematisch. Denn auch das deutsche Steuergesetz lässt offen, wie objektiv nachgewiesen werden kann, dass der betreffende Umsatz auf irgendeiner vorgelagerten Stufe einem Betrug ausgesetzt war. Welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Vorschrift für den Unternehmer, wie soll es praktisch möglich sein, einen Umsatz auf jeder Vorstufe prüfen zu können?

E-Clearing – was Amazon kann können wir schon lange?

Als Antwort kann nur ein elektronisches Clearingsystem höchstmögliche Sicherheit bieten. Zwar kann auch ein solches System von betrügerischen Unternehmern genutzt werden, weil beispielsweise Scheinfirmen ordnungsgemäß über ein solches System fiktive Geschäftsvorfälle abwickeln könnten. Die Steuerverwaltung wird nicht umhinkommen, zusätzlich Umsatzsteuer Nachschauen durchzuführen. Aber auch ein solches Verfahren spiegelt die Realität schon lange nicht mehr wider, wo doch ein Großteil der Geschäfte international und häufig rein dokumentenbasiert abgewickelt werden. Der Geschäfts- oder Verwaltungssitz ist schon lange nicht mehr dem Lieferort oder Abgangsort gleichzusetzen.

Jedenfalls hätte ein E-Clearingsystem, das ein zeitnahes Validierungssystem ausgestellter Rechnungen vorsieht, für den Unternehmer den deutlichen Vorteil, allein durch die Verwendung des Systems vor betrügerischen Vorgeschäften geschützt zu werden. Der Koalitionsvertrag des 24.11.2021 führt die Einführung eines solchen Systems auf der Seite 167 für diese Legislaturperiode an. In Italien gibt es ein solches System seit 2019, in Polen ab 2022 und Ungarn seit 2021. Daneben gibt es ein spanisches und ein französisches System.

Fazit: Werteorientierung unschlagbar

Hier zeigt sich, dass ein Rechtssystem, so kompliziert es auch sein mag, wiederum dazu dient, den gutgläubigen Steuerpflichtigen wirksam zu schützen. Es stellt einen enormen Aufwand dar der sich durch betrügerische Machenschaften immer weiter erhöht. Man tut gut daran, in allen gesellschaftlichen Bereichen für eine Werteorientierung zu werben und aktiv einzutreten.

 

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